Hierarchien haben in der menschlichen Gesellschaft eine lange Tradition. Das Wort Hierarchie stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „Heilige Ordnung“. Schon im römischen Reich und in der römisch-katholischen Kirche wusste man, dass sich Machtapparate durch hierarchische Strukturen festigen lassen. Gleichzeitig bestand und besteht ihr Vorteil darin, dass mit ihrer Hilfe an Personengruppen und an einzelne Personen zum Teil hochspezialisierte Aufgaben übertragen werden können und die korrekte Aufgabenerfüllung ohne Weiteres überprüft werden kann. Insofern verdanken wir der Idee der „Heiligen Ordnung“ ganz sicher einen Teil der rasanten technischen, wissenschaftlichen und zivilisatorischen Entwicklung unserer Welt. Doch bedeutet das auch, das wir den Sinn einer hierarchischen (bürokratischen) Ordnung deshalb niemals in Frage stellen dürfen?
In einer Umfrage zum Thema Arbeitszufriedenheit aus dem Jahre 2008 hat das IFAK-Institut Taunusstein herausgefunden, dass sich nur noch 12 Prozent der deutschen Angestellten als loyal gegenüber ihrem Arbeitgeber betrachten. 70 Prozent der Befragten schätzten sich als gleichgültig und 15 Prozent sogar als sabotagebereit ein. Die Hintergründe hierfür werden immer wieder untersucht. Klar ist, dass Menschen in hierarchisch organisierten Unternehmen und Organisationen vor allem über ihr geringes Wirksamkeitserleben klagen. Sie haben den Eindruck, nichts bewirken zu können. Hinzu kommt, dass die bürokratische Kontrolle immer stärker zunimmt. In einer Hierarchie muss sich jede Führungskraft irgendwie gegenüber dem Linienvorgesetzten absichern, dass sie ihren (Kontroll-)Pflichten nachgekommen ist. Das hat zur Folge, dass sich die bürokratischen Strukturen aufblähen und sich der Einzelne in der jeweiligen Struktur als ohnmächtig und unwirksam betrachtet. Unzufriedenheit, Frustration bis hin zum Burnout sind bekannte Folgen.
Dass es auch anders geht, zeigt das brasilianische Unternehmen SEMCO, geführt durch Ricardo Semler. Semler hat bereits in den 1980-iger Jahren konstatiert: „Wenn man es sich genauer ansieht, muss man feststellen, dass das traditionelle System nicht funktioniert.“ Seine Schlussfolgerung, dass man seinen Mitarbeitern im Rahmen demokratischer Strukturen die Möglichkeit geben sollte, ihren Produktionsprozess selbst zu bestimmen, hat er seither in seinem Unternehmen radikal umgesetzt. Das Ergebnis dieser Innovation fasst er wie folgt zusammen: „So ziemlich jeder, den es wirklich interessiert hat, ist hergekommen, um zu sehen, ob es wahr ist. Und unsere Zahlen sind über jeden Zweifel erhaben.“ Tatsächlich ist das Unternehmen SEMCO überaus erfolgreich am Markt unterwegs und ein strahlendes Beispiel dafür, dass Organisationen nicht zwingend hierarchisch organisiert sein müssen, um erfolgreich zu sein (siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Semco_System).
In meinen Seminaren zum Thema Burnout diskutiere ich mit den Teilnehmern immer wieder über die Ursachen der Entstehung von Burnout und Erschöpfung am Arbeitsplatz und berichte dann vom Semco-System. Als ich unlängst in einem Seminar einschränkend hinzufügte, dass es sicherlich Strukturen gäbe, in denen Hierarchien tatsächlich unvermeidlich wären, z.B. beim Militär, erklärte mir eine Teilnehmerin, dass sie andere Erfahrungen gemacht habe. Sie sei als Soldatin bei der Bundeswehr zweimal in Afghanistan gewesen. Bei ihrer ersten Ankunft stellte sie verwundert fest, dass die übliche Hierarchie und die damit verbundenen Dienstgrade dort keine Bedeutung hätten. Alle waren miteinander „per DU“, alle Aufgaben, wie zum Beispiel der Wach- oder der Reinigungsdienst würden von allen gemeinsam organisiert und vom Dienstgrad unabhängig und völlig gleichberechtigt durchgeführt.
Wenn das so stimmt, was ich freilich selbst nicht beurteilen kann, muss ich sagen, überrascht es mich nicht nur, sondern es stimmt mich auch zuversichtlich, dass sich unsere Arbeitswelt eines Tages vollständig zum Positiven verändern wird. Immerhin gibt es weltweit, auch in Deutschland, schon so einige Semco-Nachahmer, vor allem in der IT-Branche.